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music from Israel  articles + music reviews by Werner Lott

Die neue israelische Popmusik  

Fast unbemerkt vom europäischen und amerikanischen Markt hat sich in Israel eine junge, lebendige Musikszene entwickelt. Das Label „Ethno-Musik“, als werbetechnischer Verkaufsbeschleuniger einem oft nur synthetischen Mix gesampleter exotischer Klänge angeheftet, hier macht es Sinn: Im multikulturell geprägten Israel kommt es zu einer natürlichen Verschmelzung verschiedener ethnisch-musikalischer Einflüsse.

Israelische Rock- und Popmusik in den 70er und 80er Jahren – das waren mehr oder weniger gelungene Versuche, die großen Vorbilder aus England und den USA zu kopieren. Eine eigene, aus den vielfältigen Einflüssen der Immigrationswellen aus Europa, Nordafrika, Südamerika und anderen Teilen der Welt gewachsene Musik hatte sich noch nicht herausgebildet.

Zur Entstehung der neuen israelischen Popmusik trugen zwei sehr unterschiedliche Entwicklungen bei. Die eine ist die Professionalisierung der israelischen Musikszene. In den modernen Tonstudios steht heute eine Aufnahmetechnik zur Verfügung, die internationalen Standart erreicht. Musiker wie die Gruppe Ethnix, Rami Kleinstein oder Izhar Ashdot überzeugen nicht mehr durch den amateurhaften, wenn auch durchaus liebenswerten Charme, den noch die „Garagenbands“ der 70er und 80er Jahre – Kaveret, Tamouz, Gazoz, T-Slam oder auch Benzine, die erste Gruppe von Yehuda Poliker – versprühten, sondern durch das hohe künstlerische wie technische Niveau ihrer Produktionen.

Der zweite wichtige Aspekt, der die Entwicklung einer eigenständigen israelischen Popmusik voranbrachte, war ein gesellschaftlicher Prozess. Die Emanzipation von einem zum großen Teil auf nationalen Überlebenskampf basierenden Selbstverständnisses und die Herausbildung einer eigenen israelischen Identität, führte zu größerer Toleranz und Aufgeschlossenheit gegenüber den in großen Wellen ins Land kommenden Neueinwanderern. Vor allem die jüngere Generation geht heute mit größerer Akzeptanz miteinander um und versteht die ethnische und kulturelle Vielfalt als Chance – nicht zuletzt um viele Feste zu feiern.

Für die Popmusik in Israel bedeutete die Aufnahme dieser unterschiedlichsten stilistischen Einflüsse die Entstehung einer neuen, eigenständigen, israelischen – und gleichzeitig globalen – Musik. Musiker wie David D'Or, Etti Ankri, Boaz Sharabi und Shlomo Gronich mit dem äthiopischen Sheba Choir, oder die dem Jazz nahestehenden jüdisch-palästinensischen Gemeinschaftsprojekte Bustan Abraham, das East-West-Ensemble oder Shlomo Bar mit seiner Gruppe Habrera Hativit, verkörpern diesen neuen Geist beispielhaft.

Moderne Produktion, hohes künstlerisches Niveau und eine eigenständige Musik die den Nerv der Zeit trifft – diese Qualitäten sollten es der neuen israelischen Popmusik ermöglichen, auch außerhalb Israels Hörer zu finden.

So ist der Name der Gruppe Dana International gleichzeitig Programm. Produziert von Ofer Nissim, einem Szene-DJ aus Tel Aviv, ist dem 23 jährigen Transvestiten Dana ein ganz besonderer Coup gelungen. Ihr Song „Saida Sultana“ wurde, trotz Verkaufsverbots der ägyptischen Zensurbehörde wegen des hebräisch-arabischen Textes „mit sexuellem Unterton“, zu einem heimlichen Hit in den Plattenläden entlang des Nils. Zur Zeit ist Dana International mit ihrem 2. Album „Umpatampa“ hoch in den israelischen Charts.

Der erste große internationale Erfolg israelischer Popmusik gelang der jemenitischen Sängerin Ofra Haza. Mit dem von Izhar Ashdot produzierten Titel „Im Nin Alu“ hatte sie schon 1987 einen internationalen Megaseller.

Eine der faszinierendsten jungen Musikerinnen ist Achinoam Nini. Mit ihrer Musik, getragen von ihrem eigenwilligen Gesangsstil, bewegt sie sich zwischen Jazz und Ethno-Pop. In ihren intensiven Konzerten – sie singt und spielt Percussion – tritt sie nur mit Begleitung ihres ehemaligen Gitarrenlehrers Gil Dor auf. Auf ihrer zweiten Platte vertonte Nini Gedichte der israelischen Lyrikerin Lea Goldberg. Eines ist ihr ganz besonders gut gelungen: Das in englisch/hebräisch gesungene Stück „Pines“ erzählt von einer gebrochenen Biographie; hier erzählt sie ihre Geschichte mit den Worten Lea Goldbergs. Von jemenitischer Herkunft hat Achinoam Nini einige, für sie wichtige, Jahre in den USA verbracht. So sieht sie ihre eigenen Wurzeln „on both sides of the sea“. 1993 stellte Gil Dor den Kontakt zu seinem ehemaligen Lehrer und Freund Pat Metheny her. In Folge der Begegnung mit dem wohl bekanntesten Jazzgitarristen entstand das neue Album „Noa“. Pat Metheny übernahm nicht nur die Produktion, sondern brachte auch gleich seine hochkarätig besetzte Band mit ins Studio. Den Part an der Gitarre übernahm aber wie immer Gil Dor.

Die neue israelische Popmusik ist facettenreich. Ihr in diesem kurzen Artikel gerecht zu werden ist unmöglich! Einige weitere, herausragende MusikerInnen will ich aber noch kurz vorstellen: Ha'Machshefot (The Witches) ist eine Band junger, selbstbewusster Frauen. Ihre von Corinne Allal produzierte Musik ist eine Mischung aus Rockmusik und wiederentdecktem „New Wave“. Die Stimmung ihrer Texte reicht von pessimistisch-melancholisch bis provokativ-sinnlich. Aviv Geffen, das enfant terrible der israelischen Musikszene, der mit viel zu viel Make Up und bizarren Texten über Selbstmordfantasien, Militärdienstverweigerung, betrunkene Premierminister und Sex gegen das Establishment rebelliert und dabei die Gerichte beschäftigt. Eifo Ha Yeled (Where is the Kid), die dem Kibbutzleben den Rücken kehrten und satt dessen lieber mit progressiver Rockmusik und intelligenten Texten zu den neuen Helden der israelischen Jugend wurden. Nicht zu vergessen Ha Haverim Shel Natasha (The Friends of Natasha). Die Band um Arkadi Duchin hat mit ihrer neusten Doppel-CD „Radio Bla Bla“ eines der innovativsten Werke der israelischen Popmusik herausgebracht. Viele ihrer Kollegen und fast alle bekannten Radio-DJs geben auf der als Kollage angelegten Platte ihren Beitrag. Selbst die nicht mehr ganz junge Rivka Michaeli, ein bekannter Fernsehstar, verleiht dem Stück „Chadashot“ (news) mit laszivem Stöhnen ihre persönliche Note.

Neben den vielen jungen Musikern, gibt es noch die unverwüstlichen „Dinosaurier“ der israelischen Popmusik. Shalom Hanoch, der „israelische Bruce Springsteen“, Shlomo Arzi, der melancholische Songwriter der es schon seit über zehn Jahren schafft, mit immer dem gleichem Rezept, ein Publikum aller Altersklassen anzusprechen und natürlich Yehuda Poliker, zu dem etwas zu sagen einen eigenen Artikel füllen würde.

Als Bindeglied zwischen der neuen und alten Generation israelischer Popmusik kann die Gruppe Mashina mit ihrem Sänger Yuval Banai gelten. Ihre ersten Platten klangen noch wie bisher unveröffentlichte Frühwerke bekannter, vorwiegend britischer Bands. In den letzten Jahren fanden sie ihren eigenen, unverwechselbaren Sound. Kürzlich, nach elf Jahren Bandgeschichte und acht erfolgreichen Alben, lösten sie sich auf. Ihre gefeierte Abschiedstournee fand ihr tragisches Ende auf dem diesjährigen Festival in Arad. Um das letzte Konzert der Gruppe nicht zu verpassen, hatten mehr als 23.000 Fans versucht eine nur 18.000 Menschen fassende Arena zu stürmen. Es kam zu einer Panik, die zum Tod dreier Jugendlicher und zu nahezu 150 Verletzten führte.

Seit einiger Zeit hat MTV-Europe Israel als Absatzmarkt entdeckt. Es laufen dort Werbespots aus Israel und einigen der israelischen Musikern ist es gelungen, ihr Video auf die Playlist des Musikkanals zu bringen. Mit Eden Harel, dem jüngsten VJ (Video-Jockey) von MTV, hat Israel zudem eine attraktive Botschafterin in Sachen Musik. Es ist der israelischen Popmusik zu wünschen, dass sie auch außerhalb der Grenzen Israels größere Aufmerksamkeit findet.

Frankfurter Jüdische Nachrichten | September 1995
© Werner Lott

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