The world of musix

music from Israel  articles + music reviews by Werner Lott

The Friends of Natasha | Live Performance

1996, Hed Arzi Ltd. (CD, ADD, 71:18)

Feuerzeuge und Wunderkerzen bereithalten – es heißt Abschied nehmen von einer der populärsten israelischen Bands der letzten Jahre: Mit einem fulminanten Live-Album verabschieden sich Ha’Haverim Shel Natasha von ihrem Publikum.

Das Musikerkollektiv um den Komponisten, Sänger und Multiinstrumentalisten Arkadi Duchin und den zweiten kreativen Kopf der Gruppe, dem Sänger und Gitarristen Micha Shirit hatte seit seiner Gründung 1989 drei hervorragende Alben aufgenommen und sich in Israel den Ruf einer exzellenten Liveband erworben. Nach ihrer innovativen Doppel-CD von 1995 und der zweiten, eher stillen, Soloplatte von Arkadi Duchin im letzten Jahr (siehe Chuzpe Nr. 9), war man gespannt auf das nächste gemeinsame Projekt der Freunde von Natascha.

Mit einem Konzertmitschnitt ihrer schönsten Kompositionen läßt uns die Band nun ein letztes mal an ihrer Musik teilhaben. Ha’Haverim Shel Natasha luden ein zur großen Abschiedsparty und ihre Fans kamen und feierten mit – und machten die letzte Tournee zur erfolgreichsten der Bandgeschichte. Hörbar durch die Publikumsreaktionen euphorisiert, lassen sich die fünf Musiker auf immer neue musikalische Höhepunkte tragen. Die übersprühende Spielfreude, die den Spaß der Musiker an ihrer Musik und dem eigenen Musizieren transportiert, entfacht ein Wechselspiel zwischen Bühne und Auditorium. Nur zuweilen scheint man ein wenig Melancholie in den ruhigeren Titeln mitklingen zu hören. Bei den insgesamt 15 dargebotenen Songs wechseln sich Duchin und Shitrit am Mikrophon ab. Die melodiösen Lieder, von scheinbar einfacher Struktur und doch mit verblüffender Raffinesse komponiert, funkeln wie Perlen in ihrer schlichten Schönheit. Frisch und routiniert, lässig und professionell zugleich wirkt die über weite Teile „unplugged”, also mit akustischen Instrumenten vorgetrage­ne Musik – und überlässt uns etwas ratlos der Frage, warum sich diese noch so vieles versprechende Band zur Trennung entschloss. Man könnte vermuten, dass die Rolle Arkadi Duchins für die Band zu dominant wurde. Einem daraus resultierenden Konflikt steht aber die hörbare freundschaftliche Atmosphäre dieser Liveaufnahme entgegen.

Nach über 70 Minuten kurzweiliger Popmusik: Ha’Haverim Shel Natasha lassen uns mit einem gewärmten Herzen und einer kleinen Träne im Auge die Replay-Taste unseres CD-Players betätigen …

Aviv Geffen & The Mistakes | The letter

1996, Hed Arzi Ltd. (CD, ADD, 50:06)

Um den Künstler Aviv Geffen verstehen zu können, muss man sich mit dem Phänomen Geffen und seiner gesellschaftlichen Eingebundenheit auseinandersetzen.

Eine Umfrage des The Jerusalem Report vom 29. Dezember 1994, in der israelische Jugendliche nach ihren Helden in Israel gefragt wurden, kam zu einem überraschenden Ergebnis: Auf dem ersten Platz landete Yitzhak Rabin. Ihm folgte, auf Platz zwei, Aviv Geffen.

Zwei scheinbar entgegengesetzte Pole der israelischen Gesellschaft, hier der Kriegsheld und regierende Ministerpräsident und dort der mit seiner Erscheinung und seiner Musik gegen das Establishment rebellierende Pazifist – Beide Idole der Jugend Israels.

Was verbindet die beiden ungleichen Helden? In seinem Song Shumakom (Kein Ort), dem Titelstück seiner letzten Platte, hatte Geffen noch danach gefragt, wer denn der „betrunken durch die Straßen torkelnde Mann” sei und gab die Antwort gleich selbst: „Der Ministerpräsident”. Rabin nahm bis zu seiner Ermordung für viele Israelis die Rolle einer nationalen Vaterfigur ein. Er repräsentierte eine Generation von politischen Führern, denen man auch in schwierigen Situationen Vertrauen entgegenbrachte. Er hatte nach langem persönlichen Hader die notwendigen Schritte hin zu einem Frieden im Nahen Osten unternommen. – Nicht zuletzt aus der Einsicht, dass man Israels Jugend nicht noch für weitere Generationen mit der Bürde einer Nation im Kriegszustand belasten kann.

Die Sachzwänge eines in seiner Existenz bedrohten Landes nötigen seiner Jugend ein vorzeitiges und zu schnelles Erwachsenwerden auf. Die Einberufung zum Militärdienst, dem sich Geffen entzog, markiert für die meisten jungen Israelis die schroffe Trennlinie zwischen Jugend und Erwachsensein. Die Rebellion des Aviv Geffen, die er mit gefühlvollen und zornigen Texten und viel zu viel Make-up zelebriert – und auf inzwischen 5 CDs dokumentierte – richtet sich dann auch vor allem dagegen: Das Erwachsenwerden. Geffen, Sohn des Journalisten und bekannten Poeten Yonatan Geffen und Großneffe des legendären Kriegshelden Moshe Dayan (ja, der mit der Augenklappe!), wurde zum enfant terrible der israelischen Musikszene erklärt. Dabei führte er, mit seinen oft als reine Provokation oder kindlichem Anarchismus missverstandenen Angriffen gegen Konventionen, einen Stellvertreterkampf für weite Teile seiner Generation.

Das Datum, das die latente Verbindung zwischen Rabin und Geffen deutlich und sichtbar macht, ist der 4. November 1995. Geffen soll auf einer großen Demonstrationsveranstaltung zur Unterstützung der Friedenspolitik der Arbeiterpartei auftreten. Obwohl er verspätet auf dem Platz der Könige eintrifft, besteht Rabin darauf, ihn noch spielen zu lassen. Geffen hat den Song Livkot lecha (To cry for you) für diesen Abend ausgewählt. Ein trauriges Lied für einen durch einen Verkehrsunfall ums Leben gekommenen Freund. „Auf immer und ewig, mein Freund, werde ich an dich denken, und am Ende werden wir uns wiedersehen…” Nachdem Geffen das Lied gesungen hat, schließt ihn Rabin fest in seine Arme. Die Generationen, das alte und das neue Israel, haben zueinandergefunden.

Zehn Minuten später fallen Schüsse. Ein irregeleiteter, fanatisierter orthodoxer Student ermordet die Vaterfigur nicht nur der Jugend Israels. Durch den Verlust dieser Vaterfigur trat für Aviv Geffen – und für die von ihm besungene „fucked up generation” – das ein, wogegen er bisher rebellierte: Er – sie – wurde erwachsen.

Die aktuelle CD, The Letter, markiert eine Schlüsselphase im künstlerischen wie im persönlichen Leben Aviv Geffens. Sie ist deutlich nachdenklicher und selbstkritischer ausgefallen als seine bisherigen Veröffentlichungen. Livkot lecha, der Song, der inzwischen zu einer Art nationalem Trauerlied für Rabin geworden ist, ist in einer emotionsgeladenen Livefassung auf der CD zu finden. Im daran anschließenden Stück Mered Ha’Dmaot (Aufruhr der Tränen) quält sich Geffen mit der Frage, ob er genug für seine politische Überzeugung getan habe. Er klagt sich und seine Generation mit heißerer Stimme an: „Wann werden wir es uns endlich eingestehen, dass wir schuldig sind. Die Schuld liegt auf uns, die Schuld liegt auf uns”. Das Ende einer unschuldigen Jugend…

In einer Musikrezension sollte man auch ein paar Worte über Musik verlieren. Das Phänomen Geffen verstellt oft den Blick auf Aviv Geffen, den herausragenden Musiker. Wirkte er am Anfang seiner erstaunlichen Karriere noch wie ein ungeschliffener Rohdiamant – Geffen nahm im Alter von 17 Jahren seine erste Platte auf – so zeigt er mit jeder neuen Platte einen feineren Facettenschliff. The Letter beeindruckt durch musikalische Vielseitigkeit und deren kompetente künstlerische Umsetzung. Mit seinen Fähigkeiten als Komponist und Arrangeur und seiner übersprudelnden Kreativität ist Geffen der großen Zahl junger Talente in Israel weit voraus. Darüber hinaus ist Geffen ein inspiriert spielender Pianist, ein respektabler Gitarrist und seine bisweilen gewöhnungsbedürftigen, recht eigenwilligen Gesangsphrasierungen haben auf dem neuen Album an Ausdruckstiefe gewonnen. Mit seiner neuen CD hat Aviv Geffen auch musikalisch eine reife Leistung vorgelegt.

Chuzpe | Nummer 11, Frühjahr 1997
© Werner Lott

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